Die „Nr. 1″ im Unterhaltsrecht: Minderjährige Kinder

Minderjährige Kinder genießen nach dem Willen des Gesetzgebers im Unterhaltsrecht den größ­ten Schutz, unabhängig davon, ob sie aus einer nichtehelichen oder aber aus einer ehe­li­chen Lebensgemeinschaft hervorgegangen sind. Gemäß § 1609 BGB haben min­der­jäh­ri­ge Kinder sowie ihnen gleichgestellte, im Haushalt eines Elternteils lebende volljährige Schü­ler bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres absoluten Vorrang vor allen anderen Un­ter­halts­be­rech­tig­ten (insbesondere vor getrenntlebenden und geschiedenen Ehegatten), wenn die dem Unterhaltspflichtigen zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht zur Er­fül­lung aller Unterhaltsansprüche ausreichen.

Folgerichtig werden von der Rechtsprechung zu Recht vor allem dann keine hohen Anforderungen an die Geltendmachung und Durchsetzung von Kin­de­sun­ter­halt­san­sprü­chen gestellt, wenn es um den seit der Unterhaltsrechtsreform 2008 gül­ti­gen Mindestunterhalt für minderjährige Kinder geht. Dieser richtet sich nach dem dop­pel­ten Freibetrag für das sächliche Existenzminimum eines Kindes (vgl. § 1612 a BGB). Auch die Düsseldorfer Tabelle, die von den Familiengerichten zur Bemessung des Unterhalts min­der­jäh­ri­ger Kinder herangezogen wird, baut eben auf diesem gesetzlichen Min­dest­un­ter­halt auf. Die Richtsätze der ersten Einkommensgruppe der Düsseldorfer Tabelle entsprechen dem Mindestunterhaltsbedarf eines Kindes.

Selbstredend sind beide Elternteile gegenüber ihrem minderjährigen Kind un­ter­halts­pflich­tig. Der das minderjährige Kind betreuende Elternteil erfüllt jedoch seine Un­ter­halts­pflicht in der Regel durch die Pflege und Erziehung des Kindes. Hingegen ist der nichtbetreuende Elternteil dem Kind gegenüber entsprechend der Höhe seines Einkommens zur Zahlung von Barunterhalt ver­pflich­tet. Ob und gegebenenfalls in welcher Höhe der nichtbetreuende Elternteil Arbeitseinkommen oder sonstiges Einkommen erzielt, ist jedoch oftmals nicht oder nicht genau bekannt bzw. lässt sich für das unterhaltsbedürftige Kind nur durch die langwierige und mühsame Geltendmachung von Auskunftsansprüchen gegenüber dem Barunterhaltspflichtigen ermitteln.

Un­ge­ach­tet des­sen kann das min­der­jäh­ri­ge Kind aber oh­ne nä­he­re Dar­le­gung seiner Le­bens­ver­hält­nis­se Min­dest­un­ter­halt nach Einkommensgruppe 1 der Düsseldorfer Tabelle in der jeweiligen Altersstufe von dem nichtbetreuenden Elternteil beanspruchen. Es braucht in­so­weit seinen Unterhaltsbe­darf und in­sbe­son­dere das Ein­kom­men des barun­ter­ha­lts­pflich­ti­gen Elternteils nicht darzu­le­gen oder gar zu be­weisen. Dies stellt eine erhebliche Vereinfachung bei der familiengerichtlichen Verfolgung von Kindesunterhaltsansprüchen für das Kind bzw. für den betreuenden Elternteil dar und mindert in erheblichem Maße auch das Prozess- und Kostenrisiko.

Der zum Barunterhalt verpflichtete Elternteil schuldet also dem Kind grundsätzlich in jedem Fall den gesetzlichen Mindestunterhalt, sofern sein eigener monatlicher Selbstbehalt von derzeit 950,00 € gewahrt ist. Der barunterhaltspflichtige Elternteil un­ter­liegt insofern ei­ner ge­stei­ger­ten Arbeitsver­pflich­tung ge­gen­über dem Kind und ist un­ter­halts­recht­lich ge­hal­ten, al­le not­wen­di­gen An­stre­n­gun­gen zu unter­nehmen, um wenigs­tens den Min­dest­un­ter­halt sicherzu­stellen. Ihn trifft un­ter­halts­recht­lich die Verpflichtung, al­le ihm zu­mut­ba­ren Ein­künf­te zu er­zi­e­len, ins­besondere sei­ne Ar­beits­kraft so gut wie mög­lich ein­zu­set­zen und ei­ne ein­trä­gli­che Arbeit aus­zu­üben.

Nur in seltenen Ausnahmefällen (beispielsweise für den Fall des Bestehens einer schwerwiegenden Erkrankung) gelingt es deshalb dem barunterhaltspflichtigen Elternteil, sich zu entlasten. Selbst die Berufung des Unterhaltsschuldners auf eine etwa bestehende und unverschuldete Arbeitslosigkeit für sich genügt im Regelfall nicht, um einer Verurteilung zur Zahlung des Mindestunterhalts zu entgehen. Die Familiengerichte sind in diesem Falle befugt, dem barunterhaltspflichtigen Elternteil ein seinen Fähigkeiten und seiner Qualifikation entsprechendes Arbeitseinkommen zu unterstellen, wenn er nicht nachweist, dass seine nachhaltigen und ernsthaften Bemühungen auf dem Arbeitsmarkt erfolglos waren und er im Übrigen keine reale Beschäftigungschance hat.

Die Erfahrungen in der Praxis haben gezeigt, dass minderjährige Kinder oder deren betreuender Elternteil nicht lange zögern sollten, den Mindestunterhalt in einem familiengerichtlichen Verfahren zu verfolgen, sofern der barunterhaltspflichtige, nicht betreuende Elternteil auf eine außergerichtliche Aufforderung hin keine oder nur unzureichende Kindesunterhaltszahlungen erbringt. In den allermeisten Fällen wird dies zu einer Verurteilung des Unterhaltsschuldners zur Zahlung des Mindestunterhalts für sein Kind führen. Eine andere Frage ist, ob sich dann der in einem familiengerichtlichen Beschluss und damit auf dem Papier festgesetzte monatliche Mindestunterhalt gegen den nichtbetreuenden Elternteil zu „Geld“ machen lässt, d.h. im Wege der Zwangsvollstreckung gegen ihn beigetrieben werden kann.

 

Andreas Mertens
Rechtsanwalt, Darmstadt