Scheidung und Rente

Sofern ehevertraglich nicht zulässigerweise etwas Abweichendes zwischen Eheleuten vereinbart ist, wird im Rahmen von Ehescheidungsverfahren nach deutschem Recht von den Familiengerichten grundsätzlich von Amts wegen, d.h. automatisch (ohne, dass es eines Antrags eines der Ehegatten bedürfte), der sogenannte Versorgungsausgleich durchgeführt. Sämtliche der von beiden Ehegatten während der Ehezeit erworbenen Rentenanrechte (auch solche betrieblicher Art oder aus privaten Rentenversicherungen) werden nach dem sogenannten Halbteilungsgrundsatz des § 1 Abs. 1 VersAusglG zwischen ihnen hälftig geteilt.

Zielsetzung des im Zuge der großen Eherechtsreform im Jahre 1977 vom Gesetzgeber als Scheidungsfolge eingeführten Versorgungsausgleichs war es, dem geringer verdienenden bzw. nur haushaltsführenden Ehepartner im Falle der Ehescheidung eine gleichmäßige Teilhabe an den beiderseits während der Ehe erworbenen Rentenanwartschaften (auch Versorgungsanrechte genannt) zu verschaffen. Beide Ehegatten sollten bei Scheidung im Alter in gleicher Weise versorgt sein, und zwar unabhängig davon, welcher von ihnen im Verlauf der Ehe überwiegend oder allein verdiente.

An dieser Zielsetzung hat sich bis heute nichts geändert. Die gleichmäßige Aufteilung der während der Ehe von beiden Ehegatten erworbenen Versorungsanrechte ist deshalb gerechtfertigt, da sowohl die Berufstätigkeit des einen Ehegatten als auch die Kinderbetreuung und/oder Haushaltsführung des anderen Ehegatten vom Gesetz als gleichwertige Beiträge zum Familienunterhalt und zur Vermögensbildung angesehen werden.
Bei der Ehe handelt es sich auch um eine „Versorgungsgemeinschaft“, die der Alterssicherung des anderen, wirtschaftlich schwächeren Ehegatten dient. Käme es im Falle der Auflösung der Ehe nicht zur Vornahme eines Ausgleichs der für die Alterssicherung angesparten Versorgungswerte zwischen den Ehegatten, hätte dies in vielen Konstellationen gerade der Scheidung von langjährigen Alleinverdienerehen zwingend einen noch rascheren Anstieg der Altersarmut in Deutschland zur Folge.

Angenommen eine dreißigjährige Ehe, in der sich die mittlerweile 62 Jahre alte Ehefrau ausschließlich um die Kinderbetreuung und Haushaltsführung gekümmert hat, der Ehemann hingegen der Alleinverdiener war und sich im Laufe der Jahrzehnte hohe Rentenansprüche geschaffen hat, würde ohne Durchführung des Versorgungsausgleichs geschieden. Die Ehefrau hätte während der Ehezeit, da sie keiner Berufstätigkeit nachgegangen ist, insgesamt nur unzureichende Versorgungsanrechte für das Alter erworben. In den wenigen bis zu ihrer Verrentung verbleibenden Jahren könnte sie selbst bei bestem Willen und größter Anstrengung durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit und Leistung hoher Beiträge in die gesetzliche (oder in eine private) Rentenversicherung nicht mehr für eine angemessene Altersrente Sorge tragen, müsste also dann zwangsläufig im Rentenalter (ergänzende) Sozialleistungen in Anspruch nehmen. Im Gegenzug wäre der geschiedene Ehemann im Alter ohne Einbußen bestens versorgt, obwohl ihm gerade die Ehefrau aufgrund ihrer Haushaltsführung und der Erziehung der gemeinschaftlichen Kinder dies erst mit ermöglicht hat. Ein wenig überzeugendes Ergebnis mit hinreichenden Folgen für die ohnehin bereits leeren Staatskassen.

Vor diesem Hintergrund hat der Versorgungsausgleich insbesondere bei der Scheidung von klassischen Alleinverdienerehen von langer Dauer und in Fällen, in denen einer oder beide Ehegatten bereits Rentenbezieher sind, enorme Bedeutung für Betroffenen, was gleichwohl von vielen der auch regelmäßig auf dem Gebiet des Familienrechts tätigen Kollegen unterschätzt wird.

Nicht wenige der in Ehescheidungsverfahren beauftragten Rechtsanwälte und vereinzelt sogar Fachanwälte für Familienrecht vertreten die Auffassung, die Durchführung des Versorgungsausgleichs sei ausschließlich Sache des zuständigen Familienrichters, weshalb sich eine Kontrolle der Auskünfte der Versorgungsträger und die Überprüfung der Tätigkeit des Familiengerichts stets erübrige. Eine weit verbreitete Fehleinschätzung mit oftmals unübersehbaren Risiken und wirtschaftlichen Konsequenzen sowohl für die betroffenen Mandanten, als auch für den beauftragten Rechtsanwalt persönlich, der selbstredend für begangene Beratungsfehler haftet.

Zugegebenermaßen, die Materie des Versorgungsausgleichsrechts ist zum einen nicht leicht verständlich und zum anderen für den Anwender – da praxisfern – nur schwer greifbar. Weder von Familienrichtern noch von Anwälten wird erwartet, fundierte Kenntnisse im Bereich der Versicherungsmathematik vorweisen zu können. Allerdings entbindet dies den beratenden Rechtsanwalt nicht davor, ein Mindestmaß an fachlicher Kompetenz auch auf dem Gebiet des Versorgungsausgleichs mit sich zu bringen, um Haftungsfälle zu vermeiden und vor allem um die eigene Mandantschaft überhaupt ordentlich und gewissenhaft vertreten zu können.

Andreas Mertens
Rechtsanwalt, Darmstadt